Historische Momente – spannend erzählt

Vortrag des VGDL im Nievener Bürgerhaus

Bei der Beantwortung der Frage, ob Nieverns „berühmtester Sohn“ Marcellus ein gewiefter Betrüger oder nur ein schlauer Fuchs seiner Zeit war, konnte man am Ende des spannenden Vortrags von Hans Jürgen Sarholz sicher zwei geteilter Meinung sein. Auf alle Fälle vermochte der um 1400 geborene Marcellus von Nievern von Belgien über die Schweiz, Frankreich und Italien bis nach Norwegen Strippen über tausende von Kilometern zu ziehen, häufig selbst meist zu Fuß oder per Schiff vor Ort zu sein, im Gefängnis zu landen, Erzbischof von Trondheim zu werden und zum Schluss in den Fluten der Nordsee zu ertrinken. Das hat nach ihm kein Nieverner mehr geschafft!

Da ging es bei der Darstellung der Geschichte der Nieverner Hütte doch etwas ruhiger zu, die 1672 als „Mariotsche Companie“ bezeichnete Eisenhütte entstand und spätestens nach der Erfindung von Steinkohlenkoks und der Entwicklung einer neuen Hochofentechnik Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer der größten und besten Gießereien im hessen-nassauischen Raum heranwuchs. Als 1909 Nievern und damit auch die Nieverner Hütte von einem ungewöhnlich starken Hochwasser heimgesucht wurde, musste der Betrieb eine Zeitlang ruhen. Auch die Auswirkungen des 1. Weltkrieges taten ein Übriges, von denen man sich aber durch den großen Nachholbedarf an Handels- und Haushaltsware bis Mitte der 1920er Jahre erholte und bis zu 200 Mitarbeiter*innen beschäftigte. Erst die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise 1929 und dem damit verbundenen Zusammenbruch wichtiger Handelspartner, die plötzlich ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten, brachte 1932 das Aus für die Nieverner Hütte. Der Vorsitzende des VGDL, Ulrich Brand, schilderte in seinem Vortrag nicht nur die historischen Zusammenhänge, sondern ging auch auf die Produktionsabläufe, die hergestellten Waren und die Bedeutung des heutigen Industriedenkmals ein, von dem es bisher nur einige wenige bedeutende zeitgeschichtliche Bildnachweise gab. Deshalb bezeichnet es der VGDL als einen Glücksfall für die Denkmalpflege an der Lahn als ihm auf Vermittlung der Ortsgemeinde Nievern im vergangenen Jahr der Erwerb eines besonderen Gemäldes aus der in der Rheinromantik führenden Koblenzer Malerwerkstatt Diezler gelang, das die Nieverner Hütte vor dem großen Umbau und der Modernisierung im 19. Jahrhundert zeigt. Das Gemälde hatte man zur Veranstaltung mitgebracht. Es wird später nach dem endgültigen Ausbau des Bergbaumuseums Bad Ems dort Teil einer festen Ausstellung zur Nieverner Hütte werden.

Nach einer kurzen Pause mit Jubiläumswein und Heckeböck entführte dann wieder Hans Jürgen Sarholz das interessierte Publikum in die „Nieverner Welt anno 1850“, in der die Lahn auch das berufliche Leben der Menschen prägte. So war es nicht verwunderlich, dass sich unter den Zuhörern einige Nachfahren von Schiffer-Familien der damaligen Zeit wie „Bertram“ oder „Bernd“ fanden, die zum Teil selbst ihr Arbeitsleben auf oder an dem Fluss ihrer Heimat verbracht haben. Schließlich endete der Blick in die Vergangenheit mit der Betrachtung des kargen Lebens einer „Müllersfamilie im Schweizertal um 1844“, die dem heutigen Wanderer durch das idyllische Tal zwischen Miellen und Frücht beim Lesen der dort zur Geschichte der ehemaligen Mühlen aufgestellten Hinweisschilder nicht direkt in den Sinn kommen.

Die Stille im mit rund 70 Personen gut besetzten Saal des Bürgerhauses voller aufmerksamer Zuhörer machte deutlich, dass auch dieser Vortragsnachmittag des VGDL Bad Ems ein wichtiger Beitrag im abwechslungsreichen Programm zum 750jährigen Jubiläum unserer Gemeinde darstellt. Lang anhaltender Applaus und ein kleines Präsent waren Ausdruck des Dankes an Hans Jürgen Sarholz und Ulrich Brand.

Lutz Zaun
Ortsbürgermeister

Bildnachweise: Foto Jürgen Jachtenfuchs, Doris Zaun